Stuttgart 21 und Schweiz 2010. Zwei Seiten einer Medaille? Feiert man in der schwäbischen Landeshauptstadt die angebliche Neuerfindung der Demokratie, geben sich die Eidgenossen das rückschrittlichste Migrationsgesetz in ganz Europa. In beiden Fällen soll sich ein neu gefundener Bürgerwillen manifestieren. Das Schweizer Abstimmungsergebnis will ich von außen nicht kommentieren. Aber die hiesige Inszenierung eines politischen Konfliktes erweckt doch unsere besondere Aufmerksamkeit.
Volksbegehren, Transparenz politischer Entscheidungen, „Stresstest“ für die Demokratie sind die prägenden Schlagworte in Stuttgart. Ein Bespiel auch für das Saarbrücker Zukunftsprojekt „Stadtmitte am Fluss“? Mitnichten!
Damit ich richtig verstanden werde: Bürgerentscheide oder Volksbegehren als letztes Mittel gegen oder für ein bestimmtes Projekt müssen möglich sein. Aber sie dürfen nicht prinzipielle Grundlage jedweder politischen Entscheidungsfindung sein, sie dürfen nicht zum Regelfall werden.
Wir haben in Deutschland seit 1949 eine parlamentarische Demokratie und seitdem eine hervorragende gesellschaftliche und pluralistische Entwicklung genommen.
In den Parlamenten wird diskutiert, um politische Lösungen gerungen. Dabei wird nicht immer nur das Florett geschwungen. Dass oft Intransparenz und einseitige Interessenvertretung betrieben wird, konnte man in den letzten 60 Jahren an vielen Beispielen verfolgen. Deshalb muss an vielen Stellen der demokratische Entscheidungsprozeß verbessert werden. Selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger, Medien und zivilgesellschaftliche Vereinigungen sind notwendig und können Missstände aufzeigen. Aber in offenen Gesellschaften wird es immer Konflikte und Interessenkollisionen geben. Diese in einem parlamentarischen Raum und in öffentlichen Debatten auszufechten, halte ich für die klügste Möglichkeit. Auch wenn einem die dort gefällten Entscheidungen nicht immer passen.
Thomas Brück