15.01.2015 | Rede der Fraktionsvorsitzenden Claudia Willger anlässlich des Neujahrsempfangs 2015

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich darf Sie ganz herzlich im Namen der Stadtratsfraktion der Grünen zu diesem Neujahrsempfang begrüßen, den wir dieses Jahr zum ersten Mal gemeinsam mit der Fraktion der Grünen im Regionalverband feiern. Diese gemeinsame Veranstaltung soll für uns nicht nur symbolischen Charakter haben, sondern auch ein Zeichen einer intensiven Zusammenarbeit der beiden Fraktionen miteinander sein. Wir wissen, dass gerade auf der kommunalen Ebene eine wesentlich intensivere Zusammenarbeit nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll und Ziel führend ist. Dabei hat jede Fraktion auch ein stückweit an liebgewonnenen Traditionen festgehalten. Manfred Jost hat auf die seit Jahren bei den Neujahrsempfängen immer wieder gern gehörte Band bereits verwiesen. Wir als Grüne Stadtratsfraktion haben zwar unser Stammlokal für den Neujahrsempfang aufgegeben, haben aber weiterhin das sehr leckere Essen vom Kulturbistro Malzeit liefern lassen und damit auch unseren Teil an Tradition eingebracht.

Am vergangenen Montag, den 12. Januar 2015, haben wir alle bei der ersten wirklich großen Demonstration für dieses Jahr wunderbare Erfahrungen machen können: Unter dem Motto „Bunt statt Braun“ sind mehr als 9.000 Menschen vom Ludwigsplatz zum St. Johanner Markt gegangen und haben damit ein beeindruckendes Zeichen für Freiheit, Meinungsvielfalt, Toleranz und Mitmenschlichkeit gezeigt. Dabei war die erste Initiative zu der Kundgebung ein sehr unerfreulicher Anlass. „Saargida“ hat die erste Montagsdemonstration angemeldet und damit angekündigt, dass nunmehr allwöchentlich in Pervertierung der Proteste der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die damals montags für Freiheit und Menschenrechte auf die Straße gegangen ist, nun „Saargida“ in Saarbrücken sein Unwesen treiben möchte. Und nach den Mordanschlägen in Paris war die Sorge, dass diese Morde Auftrieb für Pegida sein würden, groß. Wir alle waren wirklich erleichtert und glücklich, dass dies jedenfalls in Saarbrücken, und damit anders als in Dresden, mitnichten der Fall war. Dies war nur möglich, weil jede und jeder für sich entschieden hat, dass an diesem Abend der Platz bei der Demonstration „bunt statt braun“ sein muss und jeder ganz persönlich mit dabei sein wollte, um ein entsprechendes Zeichen zu setzen.

Sicherlich gibt es viele Faktoren dafür, dass in Saarbrücken eine andere Situation als beispielsweise in Dresden herrscht. Ein Faktor ist jedoch auch mit Sicherheit der Erfolg der Arbeit in Saarbrücken und das seit Jahren wirklich gelebte Bemühen um mehr Integration. Seit fast 10 Jahren haben wir ein Integrationskonzept, das die sehr vielfältigen Aspekte von Möglichkeiten einer gelingenden Integration berücksichtigt.

Einige Beispiele seien hier besonders genannt:
– Systematisch berücksichtigt die Stadtverwaltung bei ihren Ausbildungsplätzen auch Menschen mit Migrationshintergrund. Mit ihren Erfahrungen können diese mit dazu beitragen, dass wir zunehmend eine bürgerfreundliche Verwaltung für alle haben und auch entsprechend Menschen mit Migrationshintergrund und ihrer ganz anderen Problemlage als Dienstleister wahrnehmen können.
– Auch die Einbürgerungskampagne mit den monatlichen Einbürgerungsfeiern trägt mit dazu bei, dass sich diejenigen, die sich um die Deutsche Staatsbürgerschaft erfolgreich bemüht haben, tatsächlich auch willkommen fühlen.
– Vor einigen Monaten hat der Stadtrat den Beitritt zur Charta der Vielfalt beschlossen. Darüber hinaus gibt es spezifische Angebote in den Stadtteilen, und ganz besonders in den verschiedenen Gemeinwesenprojekten. Initiativen, wie „Malstatt gemeinsam stark“ oder auch der „Brebacher Kalender“, der zeigt, dass man gemeinsam durch das Jahr gehen möchte, und viele andere Initiativen belegen diese erfolgreiche Arbeit.
– Auch kulturelle Angebote für und mit Migranten bereichern uns als Stadt enorm. Als ein Beispiel möchte ich hier besonders das TIV (Theater im Viertel) erwähnen.
– Aber auch das Frauenschwimmen in Altenkessel, das gegen viele Widerstände initiiert und eingeführt wurde und sich mittlerweile etabliert hat, ist ein Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz.
– Mit der Internationalität der Saarbrücker Friedhöfe haben wir sogar eine bundesweit einmalige Situation.
– Der Interreligiöse Dialog ist seit vielen Jahren etabliert und wird gelebt.
– Auch die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen ist großartig und an dieser Stelle geht unser besonderer Dank auch alle diejenigen, die sich seit Jahren darum bemühen.

Trotz dieser vielfältigen Integrationsbemühungen gibt es auch bedauerlicherweise bei uns Diskriminierung und Rassismus. Auch Denkkategorien wie „Unser“ und „Euer“- und hieran kann man die Worte wie Anliegen, Ansprüche, Wünsche und vieles mehr anknüpfen- sind immer noch Alltag und Zeichen dafür, dass wir auch weiter fortfahren müssen auf dem Weg zu dem „Gemeinsamen Wir“. Auch die sichtbare Armutszuwanderung insbesondere in den letzten beiden Jahren und die Probleme damit sind noch lange nicht gelöst:
Gerade die Straßenprostitution und die Verwerfungen, die diese nach sich gezogen hat, sind hierbei zu erwähnen. Auch die Problematik des organisierten Bettelns ist immer wieder Thema in den jeweiligen Gremien. Die Arbeitsausbeutung, konkret sichtbar geworden in Saarbrücken in der fleischverarbeitenden Industrie, war ebenfalls ein negatives Beispiel. Sie stehen für Themen, wo wir noch lange nicht bei der gewünschten Willkommenskultur angekommen sind.

Von daher ist auch für uns vollkommen klar, dass die Bemühungen um Integration weiterzugehen haben. Hilfsbereitschaft, Verständnis und Wege zu mehr Miteinander sind immer dann möglich, wenn sich Menschen gegenseitig als Menschen wahrnehmen. Als Menschen mit sehr komplexen Realitäten, über die man gegenseitig auch noch viel zu wenig weiß. Toleranz lässt sich nicht verordnen! Vielfalt lässt sich ebenso nicht verordnen! Und nur, wenn man beides tatsächlich dann auch wirklich will, hat das Erleben von Bereicherung überhaupt eine Chance und dies unterscheidet sich vom bloßen Dulden. Es geht darum, allen Menschen, die hier leben, Chancen zu geben und zu verhindern, dass sie das Ein oder Andere als bittere Ungerechtigkeit erfahren. Gerade Menschen, die jahrelang auf der Flucht waren und vertrieben wurden aus ihrer Heimat kommen oft auch mit erheblichen und vielfältigen Problemen zu uns. Denen ist fast nicht zu vermitteln, warum sie Schwierigkeiten haben zum Beispiel eine ärztliche Behandlung zu bekommen. Auch ein Rechtsanspruch auf Integrationskurse und Bildungsmaßnahmen können durchaus hilfreich sein. Wenn wir selbst im Bildungsbereich, der von staatlicher Seite her organisiert wird, so wenig wissen über die Bildungssituation von Migranten wie dies in dem letzten Bildungsbericht des Regionalverbandes zum Ausdruck gekommen ist, so zeigt dies, dass wir auf jeden Fall noch viel zu wenig übereinander wissen. Überhaupt stellt uns die Aufnahme von Flüchtlingen auch in Saarbrücken vor ganz gewaltige Herausforderungen.

Bislang haben wir diese, insbesondere durch die ganz wesentliche Unterstützung der Saarbrücker Siedlungsgesellschaft, sehr gut meistern können. Dies bezieht sich vor allem auf die Unterbringung. Viele und ganz entscheidende Handlungsfelder, hat die Stadt Saarbrücken in diesem Bereich in den letzten Jahren jedoch verloren: Bildung, Soziales und Jugendhilfe sind in der Zuständigkeit des Regionalverbandes, die Ausländerbehörde ist in der Zuständigkeit des Landes. Die große Herausforderung, nämlich Flüchtlinge nicht nur aufzunehmen, sondern auch angemessen mit ihnen umzugehen, sie zu betreuen und ihnen auch bei der Eingliederung zu helfen, kann von daher nur gemeinsam gelingen. Durch unterschiedliche und komplizierte Zuständigkeiten haben wir jedoch bedauerlicherweise einen hohen Verwaltungsaufwand, um allein die Kooperationen der unterschiedlichen staatlichen Ebenen zu koordinieren. Die jetzt eingerichtete Koordinierungsstelle übernimmt diese Aufgabe. Für mich ist dies ein Beispiel dafür, dass wir dringend eine Verwaltungsstrukturreform brauchen. Ich möchte es nicht länger hinnehmen, dass wir das wenige Geld, das vorhanden ist, in Verwaltungsstrukturen investieren und dann bei den konkreten Hilfeleistungen gegenüber den Menschen sparen müssen. Diese Menschen brauchen dringend Hilfestellung, Orientierung und Sicherheit und dies möglichst schnell und unkompliziert. Das sind für mich Investitionen in die Zukunft!

Auch in anderen Bereichen stellen wir uns in Saarbrücken der Verantwortung und zwar in einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Dabei ringen wir immer wieder um Handlungsmöglichkeiten, die im Hinblick auf die kommunale Finanzsituation – und besonders in Saarbrücken – immer weiter beschränkt werden. Hierfür brauchen wir dringend Lösungen, um den vielfältigen Aufgaben, gerade auch als Landeshauptstadt, gerecht zu werden. Ein großes Problem ist es, dass das Land uns mit einer Reihe von Entscheidungen diese Grundlagen weiter beschränkt beziehungsweise auch entzieht. Die Ministerpräsidentin hat sich im Rahmen ihres Neujahrsempfanges ganz klar zur Selbstständigkeit des Landes bekannt, was auch mich sehr freut. Aber zu diesem Bekenntnis gehört auch ein Bekenntnis zur Landeshauptstadt.

Ein derartiges Bekenntnis vermissen wir, wenn es um die Kürzungen im Hochschulbereich geht. Sie konterkarieren in vielfältiger Weise die Bemühungen der Stadt. So bemühen wir uns als Stadt Saarbrücken darum, den Hochschulstandort möglichst attraktiv zu gestalten, gemeinsam mit den Hochschulen. Die Spardiskussion des Landes machen viele dieser städtischen Erfolge zunichte. Und wenn, was uns ebenfalls sehr freut, die Ministerpräsidentin erfolgreich für die Hochschulen im Saarland verhandelt hat im Rahmen des Hochschulpaktes, so werden diese Erfolge auf der einen Seite von ihr selbst konterkariert, sobald wir sinkende Stundentenzahlen bekämen. Wir würden uns den Zugang zu möglichen Mitteln von Bundesseite sofort verschließen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht erstaunlich, dass wir sogar zwei Resolutionen für den Erhalt des Hochschulstandortes Saarbrücken im Saarbrücker Stadtrat im letzten Jahr verabschiedet haben. Hier fordern wir dringend mehr Mitsprache bei den Entscheidungen des Landes.
Um als Landeshauptstadt attraktiv zu bleiben, brauchen wir kreative Köpfe, junge Familien und ganz besonders junge Frauen. Das ist unser Kapital für die Zukunft.

Die Erwerbsquote von Frauen ist im Saarland so niedrig wie in sonst keinem einzigen Flächenland. Dazu kommt, dass wir im Saarland auch den höchsten Gender-Gap jedes Jahr Ende März mit größtem Bedauern –aber dafür regelmäßig- zur Kenntnis nehmen. Dies spricht nicht für eine Situation, die besonders attraktiv ist für junge Familien und für junge Frauen. Wir müssen daher wesentlich mehr tun für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass gerade die Universität vor Jahren bereits einen Preis für familienfreundliches Arbeiten bekommen hat.
Auch wir in Saarbrücken beteiligen uns an dem „Audit Beruf und Familie“. Wenn jedoch attraktive Arbeitsplätze gerade im Wissenschaftsbereich verloren gehen, so werden uns in Saarbrücken Perspektiven genommen und damit gehen nicht nur Perspektiven für die Stadt, sondern für die gesamte Region verloren. Mit jedem Sparen an den Hochschulen spart das Land damit zu Lasten der Landeshauptstadt. Und dafür sind heute die Menschen auf die Straße gegangen, und zwar zum wiederholten Male und auch mit 6.000 Teilnehmern in beeindruckender Art und Weise.

Arbeiten, Wohnen und Leben in der Stadt, auch dies gilt es in der nächsten Zeit attraktiv zu gestalten. Sowohl Wohnraum als auch Gewerbeflächen sind weiterzuentwickeln. Dabei ist es selbstverständlich, dass für uns Grüne die Nachverdichtung oberste Priorität hat. Der Verkehrsentwicklungsplan ist weiterzuentwickeln. Eine zentrale Frage wird die Weiterentwicklung des Bahnverkehrs sein und es bleibt sehr zu hoffen, dass Bahngipfel ab sofort niemals mehr ohne eine Beteiligung der LHS im Saarland stattfinden. Auch dies sind ganz wichtige Ziele, für die wir Grüne uns einsetzen. Im Rahmen des Verkehrsentwicklungsplanes gilt unser besonderes Augenmerk natürlich auch dem öffentlichen Personennahverkehr und der großen Frage, wie dieser attraktiver gestaltet werden kann. Sowohl Erreichbarkeitsanalysen als auch das wesentlich bessere Erfassen von Kundenwünschen und Bedürfnissen dürften hier hilfreich sein. Die von anderer Seite vorgeschlagene City-Card dürfte zur wesentlichen Vereinfachung einer Nutzung von Saarbahn und Bussen führen. Selbstverständlich – und Sie haben es auch sicher so erwartet – ist auch der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur für uns ein ganz wichtiges Ziel. Auch das Thema Lärm dürfte uns in naher Zukunft beschäftigen. Hier gehe ich davon aus, dass das Lärmschutzgutachten demnächst vollständig vorliegen und von uns diskutiert wird. Für uns ist es wichtig, dass gerade in Saarbrücken, wo die größte Lärmbelastung durch den Verkehr entsteht, Lärmschutzmaßnahmen zusammen mit dem Verkehrsentwicklungsplan diskutiert und auch verabschiedet werden. Insgesamt stellt das Thema Klimaschutz uns alle vor eine gesamtgesellschaftliche Mammutaufgabe. Nur ambitionierte Klimaschutzkonzepte und auch Aktionsprogramme werden dieser Aufgabe gerecht und so freue ich mich, dass wir in Saarbrücken demnächst eine/einen KlimaschutzmanagerIn einstellen können, der/die uns bei dieser Aufgabe dann auch unterstützt. An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass 80 % der Personalkosten aus Bundesmitteln co-finanziert werden. Dies sind Chancen, die wir in Saarbrücken auch zu nutzen wissen. Die Potentiale einer eigenverantwortlichen Energieerzeugung werden auf der Agenda stehen, aber neue Regelungen des Energiemarktes. Hier hoffen wir natürlich, dass auch der Einsatz neuer, hoch effizienter Gaskraftwerke- und damit mutige Entscheidungen gerade von Seiten der Stadtwerke- von Bundesseite mehr unterstützt werden. Wir wollen die Zukunft in unserer Stadt gestalten und damit Verantwortung übernehmen und dies nicht nur in engen Grenzen unserer Stadt, sondern wie das Thema Klimaschutz auch zeigt, im wahrsten Sinne des Wortes global. Diese globale Verantwortung schlägt sich auch nieder in dem Bemühen um fairen Handel. Auch hier gilt es „Fair–Antwortung“ zu übernehmen.

Damit uns dies auch bestmöglich gelingt, sind wir auf die Ideen und die Unterstützung der Menschen, die bei uns leben, angewiesen. Wir möchten ausdrücklich, nicht nur bei diesem Neujahrsempfang, mit den verschiedenen Vereinen, Verbänden und Institutionen in Kontakt stehen, sondern über das ganze Jahr hinaus. Wir halten seit September 2014 wöchentlich, öffentliche Fraktionssitzungen ab 18:30 Uhr, montags ab, jedenfalls in der Regel. Wir würden uns sehr freuen, wenn auch Sie mit uns das weitere Jahr über in Kontakt bleiben und Ihre Ideen und Anregungen- gerne auch kritisch- mitteilen und damit die Diskussion bereichern. In diesem Sinne lade ich Sie zum Dialog mit uns Allen ein, und ich weiß, dass ich hier im Namen der ganzen Fraktion spreche.

Und abschließend: alles erdenklich Gute in jeder Hinsicht Ihnen und uns im Neuen Jahr.