13.01.2009 | Rede des Fraktionsvorsitzenden Thomas Brück anlässlich des Neujahrsempfangs 2009

In diesem Jahr feiert Saarbrücken sein 100jähriges Großstadtjubiläum. Dass es dazu kam, war anno dazumal im deutschen Reich eher die Ausnahme. Denn trotz immensen Bevölkerungsanstiegs, v.a. im Ruhrgebiet und im Ballungsraum Rhein/Main, blieben Stadtzusammenlegungen etwa gleichgroßer Städte zu einer neuen Großstadt die Ausnahme.
So hatten wir also schon bei der Geburt unserer Stadt einen Sonderstatus!
Dass der bis zum heutigen Tag in bestimmten Stadtteilen durchhält, ist aber eine andere Geschichte…

Neulich habe ich gelesen, so zerstörerisch die Finanzkrise auch sein mag, sie war notwendig. Na denn mal Prosit Neujahr!
Der Autor war dieser Meinung, weil er im Gefolge der Krise eine Reihe von Konsequenzen sieht. Die Finanzwelt glaubte an die Unbegrenztheit der freien Märkte bis ins Unendliche, glaubte an Mehrwert, ohne reale Warenproduktion, als sprudelnder Quelle immer astronomischer Gewinnmargen. Bis die Blase zerplatze.
Eine Konsequenz aus der Krise könnte eine intensivere europäische Zusammenarbeit sein. Statt unkoordiniert und einzelstaatlich 1800 Milliarden € auszugeben, wäre ein gesamteuropäischer Rettungspakt billiger und effektiver.
Eine andere Konsequenz wäre die, dass alle, auch wir Laien, wissen, dass die Wirtschaft zyklisch verläuft und dass Krisen fester Bestandteil der Marktwirtschaft sind.
Müssen wir uns also jetzt schon, wo diese Krise noch nicht beendet ist, uns schon auf die nächste vorbereiten? Ich fürchte: ja.
Und eine weitere Konsequenz ist der rasante Imageverlust der Banken.
Sowohl in der Öffentlichkeit als auch untereinander, man redet von Vertrauenskrise.
Die Banker haben ihren Kultstatus eingebüßt. Ihr ruf ist ruiniert, und so wird man davon ausgehen können, sozusagen als Nebenkonsequenz, dass zukünftige Abiturienten eher ihr berufliches Engagement auf die Rettung des Planeten und die Fortentwicklung von Demokratie und Menschenrechten einsetzen, als für Subprime Kredite und Swap Geschäfte. Das schlechteste wäre das nicht.

Noch spürt man wenig von Krise im Alltag.
Niemand weis auch genau was noch kommen wird?
Geht die Credit Suisse nun banden oder rettet sie ihr Kreditgeschäft, und sei es auf den Jersey Islands, könnte man ketzerisch fragen.

Eines fällt mir bei der Lektüre der großen deutschen Tageszeitungen, v.a. bei einer aus Frankfurt auf. Dort werden erstaunlich oft biblische Szenarien rauf und runter gebetet:
der Offenbarung des Johannes scheint man dort mehr Glaubwürdigkeit beizumessen als den Verlautbarungen aus dem Weltwirtschaftsinstitut in Kiel.
Hier wird Glanz und Elend des Wirtschaftsjournalismus offenbar, nämlich nachher immer alles schon vorher gewusst zu haben.
Darin nicht unähnlich einem saarländischen Ex Ministerpräsidenten.
Nun sei’s drum. Man sollte beiden und den ihnen zugehörigen Klientel nicht allzu viel Vertrauen entgegenbringen.

Und jetzt wurschtelt sich die Bundesregierung ins Bild.
Pendlerpauschale, Bankbürgschaften, MwSt-Senkung, Steuergeschenke, zu guter letzt noch Einkaufsgutscheine für Bedürftige. Ja glaubt denn wirklich einer, dass das hilft ?

Was die alle nicht sehen wollen, ist dass die Finanzkrise auch und vor allem Ausdruck dessen ist, was jahrzehntelang schon falsch läuft. Die irrläufige Ausuferung des Wirtschaftssystems, eines Systems das auf Aufblähung von Vermögenswerten, auf spekulative Blasen und Verschuldung aufbaut.
Bei dem Krisenmanagement der Bundesregierung geht es doch vornehmlich eben nicht um die Eindämmung der Krise, als vielmehr um die Überlebensgarantie gestriger Industrien.

Wann begreift man endlich, dass wir an einer Zeitenwende stehen.
Einer Zeitenwende vergleichbar wie einst mit der Erfindung des elektrischen Stroms oder der Eisenbahn.
Wir stehen wahrscheinlich am Übergang von einer ressourcenvernichtenden Altindustrie hin zu einer nachhaltigen, erneuerbaren Warenproduktion.
Dass in einem derart gestalteten ökologischen Umbauprozess der Industriegesellschaft auch ein enormes wirtschaftliches Potenzial steckt, scheint außerhalb der Grünen und einiger versprengter Einzelkämpfer noch niemand recht bemerkt zu haben.
So auch meine provokative Frage, wie sie mir bei der Lektüre eines Aufsatzes von Harald Welzer aufgefallen ist.
Mag sich denn jemand die Vorstellung zumuten, dass ein mit 9 Milliarden bevölkerter Planet
so voll von VW und Opel ist, wie die Stadtautobahn im Weihnachtsgeschäft.
Ich nicht.
Ist denn die Verlängerung des europäischen Verschwendungsstandards in die globale Welt, incl. der damit verbundenen Ernährungs- und Emissionsgewohnheiten und der gnadenlosen Überforderung der noch verbliebenen Ressourcen für irgendjemanden noch vertretbar?
Die Antwort kann nur nein lauten.

Notwendig ist eine Neudefinition der Aufgaben und Lösungsversuche um die heutigen und kommenden Krisen zu bewältigen. Die gängigen Problemlösungsstrategien, mit denen man bisher einigermaßen zurecht kam, ziehen nicht mehr.

„Planet kaputt! Und trotzdem kein Geld in der Tasche!“ fasste Karen Duve die Situation mit sarkastischem Galgenhumor zusammen.

Genug geredet über die Krise.
Noch nicht ganz. Was bedeutet denn die Finanzkrise eigentlich für die Kommunen?
Sicherlich wird sich die Einnahmesituation der LHS wieder verschlechtern, nach zuletzt doch erfreulicheren Meldungen. Es wird weniger Gewerbesteuer eingenommen werden.
Wenn weniger Geld zur Verfügung steht, die Ausgaben aber weiter wachsen und die Kreditaufnahme schwieriger wird, bedeutet das einen noch heftigern Kampf darum, wo das Geld herkommen soll und wo es hinfließen soll. Man muss auch kein Prophet sein, um verschärfte Auseinadersetzungen um den kommunalen Finanzausgleich vorherzusagen.

Das Konjunkturpaket II der Bundesregierung versucht das Schlimmste zu verhindern.
Aber eben auch nicht mehr.
Im Saarland werden ca. 200 Mio. ankommen. Von diesem Geld muss ein gehöriger Teil in die Kommunen fließen. Denn sie sind es, die ein Konjunkturprogramm am schnellsten und effektivsten umsetzen können. Wenn denn die Genehmigungspraxis schnell und zügig abläuft.
Und das Geld muss in sinnvolle Projekte. Ich verweise auf meine Ausführungen von vorhin.
Wenn in den Verkehr investiert wird, dann muss das v.a. in den schienengebundenen Nahverkehr.
Aber schon redet man von einem Investitionsstau im Straßenbau.
30 Milliarden, für die Reparatur von löchrigen Straßen. Die 6 Milliarden für die Sanierung maroder Schulen nimmt sich daneben fast wie ein Taschengeld aus. Und zeigt schon wieder, dass man auf dem Holzweg geht.
Ja, muss es denn immer die schlechteste aller Lösungen sein, die sich letztlich durchsetzt?
Man meint verzweifeln zu müssen. Und dabei gibt es so viele Beispiele von Bürger/innen, die engagiert Lösungen aus der Krise aufzeigen und auch praktizieren. Dieses Engagement ehrlich aufzunehmen und nicht in den Mühlen der Verwaltung zu zermahlen, wird eine wichtige Aufgabe der kommenden Jahre sein.
Wirklich offen und das nicht nur plakativ, die Bürger/innen ernstnehmen und in entscheidenden Prozessen mitbeteiligen. Darauf wird man zukünftig angewiesen sein.
Es gilt nicht weniger zu ändern als eine gesamte „Verwaltungskultur“.
Dabei wird sicherlich nicht jedes einzelne, individuelle Problem berücksichtigt werden können, aber dort wo sich Bürgerwillen organisiert und manifestiert, wird man ohne nicht mehr weiterkommen.
Das ist gelebte Demokratie. Gerade im kommunalen Alltag.
Mit dem Stadtentwicklungskonzept ist hierfür auch ein geeignetes Instrumentarium im letzten Jahr beschlossen worden. Das sind gute Voraussetzungen.

Es sei mir verziehen, dass ich heute vornehmlich zur Finanzkrise geredet habe, dabei kamen sicherlich einige kommunale Themen zu kurz.
Aber wir sind im Wahljahr. Und ich denke, in den kommenden Wahlkampagnen werden wir all die „wunderbaren“ Ereignisse die uns die letzten 4 ½ Jahre beschäftigt haben noch sehr oft ansprechen können. Von der Koalitionsfrage zu den Dezernentenbesetzungen, Stichwort Kulturdezernat (3 K-Dezernenten gab’s, wobei der erste gleich zu Begin der Legislatur verabschiedet wurde), Stadtmitte am Fluss und Berliner Promenade, Verlagerung des Sozialamtes, Rückführung der Müllentsorgung zur Stadt und Einstieg der VSE/SFG bei den Stadtwerken, Zooschließung und Bäderkonzeption, 4. Pavillon und Eventhalle….

Davon werden wir in den nächsten Monaten noch einiges hören.

Für die grüne Fraktion kann ich heute sagen, wir sind sehr gut aufgestellt.
Wir haben in der zurückliegenden Legislatur aus der Opposition heraus konstruktiv und beharrlich eine ökologische und soziale Politik betrieben.
Wir sind zwar nicht die größte, aber dafür aber die effektivste Oppositionskraft Saarbrückens. Innerhalb und außerhalb des Rates. Wir gehen selbstbewusst und stark in die anstehenden Wahlkampagnen. Und ich bin mir sicher, wir werden gestärkt aus den Wahlen hervorgehen.
Unter den kleinen Parteien sind wir die Größten!
Und nach dem 7. Juni werden wir in SB ein gehöriges Wort mitzureden haben.

Dass man jetzt, sozusagen in Torschlusspanik, von Seiten der kleinbürgerlichen Koalition noch schnell den Bürgermeister wählen lassen will, ist ein Eigentor erster Kategorie.
Wenn sie denn wählen, am Donnerstag soll ja die Entscheidung offiziell verkündet werden, ist das sicherlich der finale Schlussstein einer Koalition, die von Anfang an auch die falschen Inhalte hatte. Leider hat dieser Zustand die Stadt über Jahre gelähmt.
Ich kann auch hier unzweifelhaft darlegen, sollte die Koalition jetzt wählen, werden die Grünen in der neuen Dezernentenriege nicht mehr vertreten sein, und da sage ich ganz deutlich:
ohne Repräsentation dort gibt es mit uns noch nicht einmal die Tolerierung einer neuen Verwaltungsspitze.

Dass es überhaupt zu dieser vorgezogenen Wahl kommen kann, verdanken wir einer Kuriosität des saarländischen Kommunalwahlgesetzes (§ 72). Die dort festgeschriebene „Fristenlösung“ sieht nämlich vor, dass bereits 9 Monate vor Ablauf der Amtszeit Dezernenten, in diesem Fall der Bürgermeister, gewählt werden dürfen. Das ist blanker Unsinn. Die einzig sinnvolle Amtszeit von Dezernenten ist die Koppelung an die Kommunalwahlen.
Amtszeit = Legislaturperiode.

Noch ein allerletztes.
Wer mich kennt, der weis, dass mich immer auch die internationale Lage interessiert und beschäftigt.
Und in diesen Neujahrstagen sind die Weltnachrichten dominiert von einem Thema.
Dem Krieg am Gazastreifen. Ich will hier nicht die Schuldfrage erörtern, aber ich möchte festhalten, dass in diesem Land jeder Kritik an herrschenden Zuständen üben kann.
Auch meinetwegen Kritik an der Politik Israels. Das ist in diesem Land grundgesetzlich geschützt.
Doch wenn Hakenkreuze gezeigt und „Tod den Juden“ gerufen wird, hat die Toleranz ein Ende. Das sind Angriffe auf unsere demokratische Grundordnung und nicht mit Israels aktueller Politik entschuldbar.
Wenn Kritik an Israel im Rahmen von Demonstrationen genutzt wird, seinen eigenen Antisemitismus offen und gefahrlos auszudrücken, muss die demokratische Öffentlichkeit in diesem Land aufstehen und sich laut zu Wort melden.

So das war’s von meiner Seite zum Auftakt des Wahljahres 2009.